Der Jenaer Bürgerhaushalt 2016 beschäftigt sich mit dem Thema Umwelt und Natur und scheint es in diesem Jahr besonders darauf anzulegen, Umwelt und Natur aus der Stadt zu verbannen. Die Kleingärtner haben bereits kritisiert, dass über die Hintertür des Bürgerhaushaltes die Beseitigung von Kleingärten zugunsten teurer Wohnung wieder auf die politische Agenda gekommen ist. Dazu wurden die Kleingärtner als betroffene Gruppe (anders als in den Vorjahren) nicht befragt oder bekamen die Chance, ihre Meinung zu dem Thema einzubringen.
Das bemerkt man auch in der Broschüre, die zum Fragebogen erstellt wurde. Diese Broschüre soll normalerweise Informationen liefern, um die Jenaer in die Lage zu versetzen, eine sachliche Entscheidung zu treffen. In der Regel gibt es dabei pro Frage eine Seite, die Hintergründe erklärt und Fakten zum Thema liefert.
In diesem Jahr ist das zumindest bei einigen Fragen anders. Die Fragen
- 1.3 Sprechen Sie sich dafür aus, die Bebauungsgrenzen zugunsten neuer Wohngebiete zu erweitern?
- 1.4 Sprechen Sie sich dafür aus, auch Grün- und Naturflächen zugunsten neuer Wohnbebauung zu reduzieren?
haben Texte erhalten, die dem Anspruch kaum gerecht werden, die Bürger wirklich zu informieren.
In beiden Fällen wird zwar begründet, warum man die Bebauungsgrenzen verschieben sollte oder warum Grün- und Naturflächen geopfert werden sollen, es fehlen aber die Gegenargumente. Es wird nicht darauf eingegangen, welche Funktionen Grünflächen für die Stadt haben und warum es durchaus wichtig ist, diese zu erhalten. Auch die (nur indirekt vorhandene) Höhe der Bebauungsgrenzen hat durchaus einen Sinn – der aber nur angedeutet wird („Zersiedelung vermeiden„). Stattdessen wird ausführlich und an mehreren Stellen darauf eingegangen, das Jena Wohnraum braucht und daher (Achtung Euphemismus) „Flächen zugunsten Wohnbebauung mobilisiert“ werden sollen.
Wer die Erklärungen in den Texten liest muss zwangsläufig zum Schluss kommen, dass es eigentlich unerklärlich ist, warum die Flächen und Gärten bisher nicht schon längst für eine Entspannung am Wohnungsmarkt eingesetzt wurden, denn negative Konsequenzen daraus scheinen nicht zu existieren.
Dabei wäre es genau der Sinn der Broschüre gewesen, sowohl die Vorteile als auch die Nachteile einer Reduzierung von Grün- und Naturflächen zu erwähnen um die Bürger in die Lage zu versetzen, eine sinnvolle Abwägung zutreffen. Warum diese Texte in diesem Jahr so einseitig ausgefallen sind, ist nicht nachvollziehbar, weder in den Protokollen der AG noch im Finanzausschuss finden sich dazu Hinweise oder kritische Anmerkungen.
Darüber hinaus sind die Texte an vielen Stellen auch insgesamt wenig geeignet, Informationen zu den Entscheidungen zu liefern. Stattdessen scheint oft lediglich Füllmaterial abgedruckt zu sein. So heißt es auf Seite 7 (zur Reduzierung der Grün- und Naturflächen):
Der Flächennutzungsplan stellt die generellen räumlichen Planungs- und Entwicklungsziele flächendeckend dar und ist damit das zentrale Steuerungselement der sogenannten vorbereitenden Bauleitplanung. Bestandteil der Fortschreibung des Flächennutzungsplans ist u. a. das Gartenentwicklungskonzept. Dieses beinhaltet eine umfassende und langfristige Strategie für die weitere Entwicklung und Ausgestaltung des Gartenbestandes der Stadt unter Berücksichtigung der prognostizierten demografischen Entwicklung sowie sozialer, ökologischer und städtebaulicher Gesichtspunkte.
Das ist durchaus richtig, sagt aber zum eigentlichen Thema wenig aus. Die Entscheidung für oder gegen eine Reduzierung von Grün- und Naturflächen wird dadurch kaum tangiert. Der ohnehin sehr begrenzte Platz in der Broschüre hätte für eine deutlich höhere Informationsdichte genutzt werden können.
Sehr schade, dass diesmal diese deutlichen inhaltlichen Verzerrungen aufgetreten sind. Die Ergebnisse werden daher immer mit dem Makel behaftet sein, dass es bei der Entscheidung handwerkliche Fehler gab. Das Vertrauen in den Bürgerhaushalt Jena dürfte das kaum stärken.
full disclosure: Ich habe bis 2015 selbst in der AG Bürgerhaushalt mitgearbeitet, mich mittlerweile aber aus der Arbeit zurück gezogen, da die Haushalts-Themen kaum zur Geltung gekommen sind.